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Wettbewerbsföderalismus statt Verteilungsföderalismus

von Wolfgang Reinhart

Der Föderalismus ist ein wichtiges, verfassungsrechtlich garantiertes Staatsorganisationsprinzip in Deutschland. Eine zentrale Rolle spielt dabei das im Grundgesetz verankerte Konnexitätsprinzip: Wenn eine staatliche Ebene einer anderen Ebene Aufgaben überträgt, muss sie auch die Kosten dafür tragen oder für eine angemessene Finanzierung sorgen. Der Grundsatz „wer bestellt, bezahlt“ gilt damit nicht nur im Wirtshaus, sondern auch im föderalen Staatsgefüge. Auch der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bekennt sich auf S. 114 klar dazu.

Aus Ländersicht ist das zu begrüßen, nachdem sich in den letzten Jahren hier oft ein anderes Bild abgezeichnet hat. So wurde vom Bund mit Geltung ab 2026 der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler beschlossen, während für die notwendigen massiven Investitionskosten der Schulträger – in aller Regel Kommunen – lediglich Bundesmittel in Höhe von 3,5 Milliarden Euro bereitgestellt wurden. Allein Baden-Württemberg stellt deshalb in den nächsten Jahren für kommunale Förderanträge, die wegen der begrenzenten Bundesmittel nicht berücksichtigt werden konnten, ergänzende Landesmittel in Höhe von über 860 Millionen Euro zur Verfügung. Diese Dimension der notwendigen Landesergänzungsförderung in nur einem einzigen von 16 Bundesländern verdeutlicht, dass die Bundesmittel hier alles andere als konnex waren – im Grunde nicht mehr als ein Tropfen Wasser auf dem heißen Stein.

Leider nur vage und schwammig ist der Koalitionsvertrag beim Bundesteilhabegesetz (BTHG), das die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessern soll. Dieses wolle man evaluieren und über dessen Ausgestaltung beraten, heißt es auf S. 21. Mit anderen Worten: Man muss sich darauf einstellen, dass alles so bleibt, wie es ist. Das würde für viele Landkreise dazu führen, dass sie zunehmend unter der Kostenlast der ihnen übertragenen Aufgaben erdrückt werden. Denn zusammen mit gestiegenen Kosten für Unterbringung und Heizung, die im Rahmen von Bürgergeld und Asylbewerberleistungen aufzubringen sind, sind die Sozialetats zuletzt überall regelrecht durch die Decke gegangen. In meinem ländlichen Heimatkreis macht der Sozialetat mittlerweile die Hälfte des Gesamthaushalts aus. Allein 36% des Sozialetats wiederum sind auf das BTHG zurückzurückführen. Das liegt daran, dass dieses Gesetz das, was früher mit einem „All inclusive“-Paket abgegolten war, in viele einzelne Teilleistungen zerlegt. Diese müssen individuell ermittelt werden. Ein Fragebogen, der früher 3 Seiten hatte, hat heute 41 Seiten. Ein riesiger Verwaltungsaufwand mit explodierenden Kosten ist die Folge. Man kann nur hoffen, dass die neue Bundesregierung diese Aspekte in ihre Evaluation mit einbezieht – und als Konsequenz wieder zur pauschalierten Eingliederungshilfe zurückzukehrt.

Ein Hauptaugenmerk der neuen Regierung wird auch auf der Entbürokratisierung liegen müssen. Nötig dafür ist Vertrauen – Vertrauen darauf, dass Potenziale entstehen, wenn wir Unternehmen entfesseln, indem wir die Überregulierung reduzieren, entbürokratisieren und unseren Standort nicht weiter strangulieren. Aber auch Vertrauen darauf, dass die Kommunen ihre Gegebenheiten vor Ort am besten kennen. Dass § 13b Baugesetzbuch mit einem Bundesverwaltungsgerichtsurteil 2023 für europarechtswidrig erachtet wurde, hat viele Kommunen, aber auch Bauwillige und das Baugewerbe schwer getroffen. Wohngebietsausweisungen zur Abrundung bebauter Ortsteile am Rand zum Außenbereich bedürfen wieder einer Umweltprüfung, die nicht nur langwierig, sondern auch teuer ist. Von der Regierung wünsche ich mir hier eine Initiative in Brüssel, um die Schaffung dringend nötigen Wohnraums vor Ort zu erleichtern, aber auch um die kommunale Eigenverantwortung wieder zu stärken.

Geradezu konträr zur kommunalen Eigenverantwortung steht die geplante Entschuldung von Kommunen. Als hätte der Bund nicht schon eigene Aufgaben genug, wird nun also noch mit einer Viertelmilliarde pro Jahr ein Umverteilungsmechanismus aufgelegt. Ein Schlag ins Gesicht für Kommunen, die Sparpolitik betreiben und für Länder, die ihre Kommunen mit Landesmitteln angemessen ausstatten. Es ist gleichermaßen übergriffig wie die Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse: Der Bund gibt nun fix vor, dass die Länder sich mit 0,35% des nominalen BIP verschulden dürfen, anstatt sie lediglich zu ermächtigen, solche Regelungen in ihren Verfassungen vorzusehen. Die Landesverfassungen laufen damit Gefahr, durch den Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ in Teilen immer öfter ausgehöhlt bzw. umgangen zu werden. Stattdessen wäre ein realistischer Wettbewerbsföderalismus gegenüber einem Verteilungsföderalismus vorzugswürdig, der den Ländern selbst, auch im Rahmen der Diskussion zur Schuldenbremse mehr eigenständige alleinige Steuerkompetenzen zugestehen würde.

Autor: Prof. Dr. Wolfgang Reinhart, MdL, ist Vorsitzender der CDU-Fraktion im Stuttgarter Landtag.

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