von Kerstin Maria Rippel
Die kommende Bundesregierung steht vor einer industriepolitischen Neuordnung und der Stahlindustrie kommt dabei eine tragende Rolle zu. Denn Stahl ist das Fundament der industriellen Wertschöpfung, der Wettbewerbsfähigkeit, des Wohlstands und der Widerstandsfähigkeit unseres Landes – und Europas. Stahl ist der wichtigste Grundstoff für das Transport- und Bauwesen, für nahezu sämtliche Energiewendetechniken und – ja – auch für die Verteidigungsindustrie.
In den größten stahlintensiven Branchen sind etwa vier Millionen Menschen beschäftigt. Das sind rund zwei Drittel aller Industriearbeitsplätze – in großen Konzernen wie in mittelständischen Betrieben. Und jeder Euro, den stahlproduzierende Unternehmen am Standort Deutschland investieren, generiert drei weitere Euro in den angrenzenden Zuliefersektoren – die oft mittelständisch geprägt sind. Mit anderen Worten: Die Stahlindustrie ist systemrelevant.
Zugleich steht die Stahlindustrie in Deutschland unter massivem Druck. Die Trias aus anhaltender Konjunkturschwäche, einer Flut an Billigimporten aus Fernost und nicht wettbewerbsfähiger Energiekosten ist kaum mehr zu stemmen.
Die ambitionierten Klimaziele müssen Hand in Hand gehen mit einem klaren politischen Willen, die Stahlindustrie in Deutschland und Europa zu halten. Ein solcher Wille muss sich unmissverständlich im neuen Koalitionsvertrag niederschlagen. Schon in den ersten 100 Tagen der neuen Regierung braucht es Ad-hoc-Maßnahmen, um drohende existenzielle Schäden zu verhindern. Auch für die mittel- und langfristig wesentlichen Veränderungen, müssen jetzt die Weichen richtig eingestellt werden:
Strom- und Gaspreise jetzt senken
Umgehend muss die Bundesregierung jetzt für die Absenkung der Übertragungsnetzentgelte auf das Niveau von 2023 sorgen. Im besten Fall mit Rückwirkung zum 1. Januar 2025 als ein allererster Schritt zur Entlastung. Denn die Börsenstrompreise in Deutschland sind immer noch wesentlich höher als in anderen Ländern – sei es in China oder in den USA, sei es in den europäischen Nachbarländern. Gleichzeitig steigen Stromkostenbestandteile wie Netzentgelte ungebremst weiter. Deshalb muss die Bunderegierung jetzt aktuell, aber auch mittel- und langfristig für eine deutliche Senkung der Strom- und ehrlicherweise auch Gaspreise sorgen. Jedenfalls dann, wenn energieintensive Industrien wie die Stahlindustrie am Standort gehalten werden sollen.
Für fairen Handel sorgen
Schon in den kommenden Wochen geht es darum, Gespräche mit der Europäischen Kommission aufzunehmen, um die im Steel and Metals Action Plan vorgesehenen Maßnahmen auch zeitnah in die Umsetzung zu bringen. Da geht es um die Verschärfung der bestehenden EU-Safeguard-Maßnahmen und um eine effektive Ausgestaltung des CO2-Grenzausgleichssystems (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Damit der CBAM wirksam werden kann, müssen noch dieses Jahr Regelungen verabschiedet werden, die Umgehungen unterbinden, den CBAM-Schutz auf nachgelagerte Produkte erweitert und Stahlexporte von CO2-Kosten entlastet werden. Diese ersten Anpassungen müssen noch 2025 verabschiedet werden und mit der Scharfschaltung des CBAMs ab dem 1. Januar 2026 in Kraft treten.
Auch bei der Entwicklung eines dauerhaften und effektiven Instrumentes, das die Safeguards im Sommer 2026 ablöst, muss die Bundesregierung in Brüssel klar Stellung beziehen. Ziel muss ein wirksamer Schutz vor den negativen Auswirkungen der ungebremst wachsenden globalen Überkapazitäten und den damit einhergehenden unfairen Handelspraktiken sein.
Leitmärkte für emissionsarmen Stahl schaffen
Wenn die Bundesregierung es ernst meint mit der Dualität von wirtschaftlicher Stärke und klimaneutraler Produktion muss sie jetzt marktwirtschaftliche Anreizsysteme für den Einsatz emissionsarmer Grundstoffe entwickeln. Dazu gehört die Schaffung von Leitmärkten für emissionsarme Grundstoffe wie etwa Stahl oder auch Zement. In beiden Sektoren existieren bereits anerkannte Labels und Standards, mit denen die Definitionen und Einordnungen von Emissionsintensitäten transparent gelingen kann. Die öffentliche Hand tut nun gut daran, hier selbst eine Vorreiterrolle einzunehmen – und die Reform des nationalen Vergaberechts entsprechend zu gestalten. Auf europäischer Ebene sollte sich die Bundesregierung für eine konsequente Ausrichtung der öffentlichen Beschaffungsrichtlinien auf nachhaltige, emissionsarme Materialien mit European-Content stark machen. Die belastbare Grundlage dafür liegt mit dem Low Emission Steel Standard (LESS) bereits vor. Jetzt heißt es: umsetzen.
Denn „Clean Steel Made in Germany and Europe“ ist nicht mehr nice to have sondern conditio sine qua non für einen widerstands- und zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort. Der Koalitionsvertrag muss das anerkennen – und entschlossene und klar formulierte Passagen dazu aufnehmen!
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Autorin: Kerstin Maria Rippel ist Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl.
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