von Hans-Jürgen Müller und Hans Peter Wollseifer
Die neue Bundesregierung ist gefordert, mutige Schritte zu unternehmen, um die gravierenden Fehlentwicklungen zu beheben, die unser Gesundheitssystem zu einem der teuersten in Europa gemacht haben – ohne, dass sich dies in einer höheren Lebenserwartung widerspiegelt. Die Forderungen der Selbstverwaltung der Innungskrankenkassen sind klar und unmissverständlich: Ein „Weiter-So“ darf es nicht mehr geben! Ein Umdenken ist dringend notwendig, um ein solidarisches, nachhaltiges und qualitativ hochwertiges Gesundheitswesen in Deutschland zu sichern.
Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist der zentrale Punkt, der einer grundlegenden Reform bedarf. Mit einem prognostizierten Defizit von 13,8 Milliarden Euro für 2025 ist die finanzielle Belastung für Beitragszahlerinnen und Beitragszahler alarmierend. Schon Anfang des Jahres hat sich gezeigt, dass der vom BMG festgelegte durchschnittliche Zusatzbeitragssatz nicht ausreichend ist, um den Anstieg der Leistungsausgaben nachzukommen und die Auffüllung der Rücklagen zu ermöglichen. Die Politik muss eine tragfähige Finanzierungsgrundlage schaffen, die den Solidargedanken der GKV stärkt und die Beitragssätze stabilisiert, um auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen. Hierfür ist kurzfristig ein Ausgabenmoratorium notwendig, um Zeit für die Erarbeitung der Strukturreformen zu erhalten.
Die Innungskrankenkassen fordern eine Überarbeitung der bestehenden Finanzierungsmodelle, einschließlich der Dynamisierung des Bundeszuschusses sowie einer gerechteren Beteiligung aller Sektoren an der Finanzierung des Gesundheitswesens. Zudem sollte ernsthaft geprüft werden, innovative Ansätze wie die Umwandlung von Lenkungssteuern auf schädliche Genussmittel in eine Abgabe zugunsten des Gesundheitsfonds in Betracht zu ziehen. Hierbei geht es übrigens nicht um „Mehr-Geld-ins-System“, wie von Kritikern gerne immer wieder behauptet wird, sondern um eine dringend notwendige Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, also Arbeitgeber und Versicherte. Es geht um mehr Netto vom Brutto.
Die Verhandlungspapiere der Arbeitsgruppen für Gesundheit sowie Arbeit und Soziales im Rahmen der Koalitionsverhandlungen von Mitte März 2025 zeigten den Willen der beteiligten Fachpolitiker von Landes- und Bundesebene, finanzielle Mittel in das Gesundheitswesen zu lenken. Der Koalitionsvertrag vom 9. April 2025 hat diese Impulse aber ärgerlicherweise ausgeklammert und sich nur zu einer Finanzierung der Kosten des Transformationsfonds aus dem Sondervermögen entschließen können. Umso wichtiger wird es sein, dass die geplante Kommission keine Alibiveranstaltung wird.
Darüber hinaus müssen strukturelle Schwächen, wie die Überwindung von Sektorengrenzen und die fehlende Steuerung durch ein Primärarzt-Modell, dringend angegangen werden. Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung kommt den Lösungsvorschlägen der Innungskrankenkassen auf den ersten Blick entgegen: Die Verhandler befürworten Haus- und Fachärzte als Lotsen im Gesundheitswesen. Allerdings sind auch Ausgaben für Apotheken und Fachärzte eingeplant, die potenzielle Einsparungen durch ein Primärarzt-System zunichtemachen könnten. Ein zentrales Anliegen der Innungskrankenkassen ist zudem die Prävention. Das Gesundheitswesen darf nicht nur ein reiner Reparaturbetrieb sein! Um die Ausgabendynamik zu bremsen, müssen Primär- und Sekundärprävention in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen
Ein weiterer entscheidender Faktor für die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens ist die Stärkung der Selbstverwaltung. Sie ist nicht nur ein verfassungsmäßiges Element, sondern auch ein demokratisches Fundament, das Vertrauen und Handlungsfähigkeit erfordert. Es ist unerlässlich, dass die Krankenkassen als Anwälte der Versicherten Klagerechte bezüglich Finanzierungszuständigkeiten erhalten, um die Interessen der Beitragszahlenden wirksam vertreten zu können. Nur so kann die Selbstverwaltung ihre Aufgaben wahrnehmen und zur Stärkung der Strukturen der Sozialversicherung beitragen.
Es ist an der Zeit, die Rolle der gesetzlichen Krankenversicherung neu zu denken, sodass sie stärker in die Steuerung der gesundheitlichen Versorgung zugunsten ihrer Versicherten und Arbeitgeber einbezogen wird. Nur durch eine solide Finanzbasis, tiefgreifende Strukturreformen sowie gemeinsames Handeln kann ein Gesundheitswesen geschaffen werden, das den Bedürfnissen aller Versicherten gerecht wird!
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Autor: Hans-Jürgen Müller und Hans Peter Wollseifer sind Vorstandsvorsitzende der Vertretung der Innungskrankenkassen.
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