Von York Sure-Vetter
Datensouveränität spielt eine zentrale Rolle für die Wissenschaft und muss beim Aufbau effektiver Forschungsdateninfrastrukturen mitgedacht werden. Bereits bestehende Daten und insbesondere Verknüpfungen dieser Daten können neue Erkenntnisse hervorbringen und ermöglichen Innovationen. Deshalb sollten Wissenschaftler:innen und Institutionen über dieses enorme Potential verfügen können. Als Nationale Forschungsdateninfrastruktur fördern wir Datensouveränität, indem wir ein effektives Management von Forschungsdaten aufbauen.
Im Kontext von Open Science gewinnt die Diskussion über Datensouveränität an Bedeutung. Daten sollen vor Missbrauch und unbefugtem Zugriff geschützt sein, aber gleichzeitig für berechtigte Personen auffindbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar sein (siehe FAIR-Prinzipien). Forschende stehen also vor der Herausforderung, ihre Daten offen und systematisiert zugänglich zu machen, um den wissenschaftlichen Austausch zu fördern, während sie gleichzeitig die Kontrolle über diese (teils sensiblen) Daten wahren. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Offenheit und Souveränität ist daher unerlässlich. Nur so können Forschende sicherstellen, dass ihre Daten nicht nur für die Forschungsgemeinschaft von Nutzen sind, sondern auch datenschutzrechtliche Ansprüche gewahrt bleiben. In diesem Zusammenhang unterstützen die Helpdesks der NFDI-Konsortien Text+ oder NFDI4Culture die Forschenden dabei, ihre jeweiligen rechtlichen Fragestellungen zur Bereitstellung von Forschungsdaten zu klären. In diesem Spannungsfeld werden die Fragen der Datensouveränität und der Aufbau von NFDI zu einem entscheidenden Faktor für die Zukunft der datengetriebenen Forschung. Öffentliche Forschung dient dem Gemeinwohl und evidenzbasierter Politik, zum Beispiel mit Blick auf Pandemien oder Naturgefahren.
In den letzten Jahren entstanden zahlreiche Rechtsakte auf europäischer und deutscher Ebene, um die Datenzugänglichkeit zu erleichtern. Im Gesundheitsbereich sind der European Health Data Space oder auch das deutsche Gesundheitsdatennutzungsgesetz entstanden. Auch Art. 40 des Digital Services Act erlaubt Forschenden einen einfacheren Zugang zu sehr großen Plattformen mit mehr als 45 Mio. Nutzer:innen, beispielsweise Google oder TikTok. Auf nationaler Ebene könnte ein Forschungsdatengesetz einen standardisierten Datenaustausch anhand bestimmter Regelungen wie im Bereich der Zugangsrechte oder Metadatenbereitstellung erleichtern.
Um die Balance zwischen berechtigten Zugängen zu sensiblen Daten auszugestalten, gibt es bereits Forschungsdatenzentren (FDZ). Ein dezentrales Netzwerk von 40 vom RatSWD akkreditierten FDZ ermöglicht einen kostengünstigen und einfachen Zugang zu einer Vielzahl von Forschungsdaten aus dem Bereich der Sozial-, Verhaltens- und Wirtschaftsforschung. Das Modell der FDZ lässt sich auf sämtliche Bereiche übertragen, zum Beispiel könnten FDZ aufgebaut werden, die den Austausch von Daten zwischen Wissenschaft und Wirtschaftsunternehmen fokussieren.
Datensouveränität endet nicht bei der Datenspeicherung, sondern umfasst auch den Austausch und die Nachnutzbarkeit von Daten. Forschungsdaten sind sehr vielseitig und reichen von historischen Artefakten über Sensordaten des Staubsaugroboters bis hin zu Daten über die Verbreitung verschiedener Bienenarten oder die Wirksamkeit von Medikamenten. Dabei sind die verschiedenen Forschungsdaten mit unterschiedlichen Terminologien als “Datenvokabulare” und mannigfaltigen Rechtsgebieten verknüpft, beispielsweise Urheberrecht oder Persönlichkeitsrecht. Hierfür sowohl technisch funktionale als auch rechtlich einwandfreie Prozesse zu etablieren ist von hoher Bedeutung. Dafür stehen die 26 NFDI-Konsortien mit ihren breiten Wissenschaftscommunities.
Die Komplexität verschiedener Datensätze und deren Verknüpfung zeigt sich bei sämtlichen Themen, beispielsweise beim Pflanzenschutz. Das Forschungsdatenmanagement in diesem Bereich befasst sich mit Themen wie Ertragsverlustversuchen, epidemiologischen Experimenten oder dem Schädlingsbefall von Pflanzen. Diese Forschung trägt dazu bei, den enormen Herausforderungen der Landwirtschaft wie stagnierende Produktivität, Klimawandel, dem Verlust der Biodiversität, Lieferengpässen aufgrund von Krisen und Kriegen und der Degradation natürlicher Ressourcen – und demgegenüber eine ständig steigende Nachfrage – zu begegnen. Dabei ist es in Deutschland schwierig, geeignete Datensätze aufzufinden, geschweige denn Zugänge zu identifizieren. Doch um aktuelle Forschung zu zentralen nationalen Herausforderungen wie klimatischen Veränderungen oder Pflanzenerkrankungen durchzuführen, bedarf es Datenbanken mit qualitätsgesicherten Datenbeständen, die eine Datenanalyse erlauben. Diese Forschung nützt sowohl der Landwirtschaft als Garant für eine nachhaltige Grundlage für unsere Ernährung wie auch einer evidenzbasierten Agrarpolitik. Deshalb braucht es Akteure wie das NFDI-Konsortium FAIRagro, das sich unter vielen anderen der Frage des datengetriebenen Pflanzenschutzes widmet.
Es gilt, gemeinsame Standards für Daten und eine gemeinsame Basis für Metadaten und Terminologien zu schaffen, um zukünftig rechtssicher zwischen Forschung, Wirtschaft und öffentlichen Stellen zu interagieren. Ein Beispiel, wie NFDI bereits standardisierte Daten einsetzt, zeigt sich in der Krebsforschung: Gesundheitsdaten aus klinischen Studien werden über ein Portal datenschutzkonform archiviert und mit standardisierten Metadaten versehen. Diese Datensätze lassen sich effizient verknüpfen – eine zentrale Voraussetzung, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, die zukünftigen Patientinnen und Patienten zugutekommen können. Für standardisierte, verknüpfbare Datensätze bedarf es zunehmend der Fähigkeit des Datenmanagements über die Disziplinen hinweg. Die NFDI-Konsortien stärken durch ihre Bildungsangebote, wie unter anderem der NFDI4Earth Academy oder der AI Ethics-Serie von NFDI4DataScience, die Kompetenz zur effektiven Nutzung von Daten. Es bedarf einer Stärkung der Datenkompetenz über alle Disziplinen und Sektoren hinweg, um eine effektive Datennutzung und damit eine langfristige Datensouveränität zu gewährleisten.
Schaffen wir es, über die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen und Wirtschaftssektoren hinaus eine gemeinsame Forschungsdateninfrastruktur aufzubauen, um Daten sicher, integer und interoperabel auszutauschen, können wir uns als Gesellschaft mit Hilfe von datengetriebenen Zukunftstechnologien besser den aktuellen globalen Herausforderungen stellen. Gelingt uns dies über die nationalen Grenzen hinweg auf europäischer Ebene, zum Beispiel mit der European Open Science Cloud, sind wir einer europäischen, wertebasierten Datensouveränität ein großes Stück näher. Gerade die aktuellen Entwicklungen in den USA zeigen, wie wichtig es ist, die Hoheit über die eigenen Daten zu behalten, um selbstbestimmt über die Datennutzung zu entscheiden. In Europa bedarf es daher klarer Rechte und Pflichten, die für die einzelnen Forschenden und Forschungseinrichtungen händelbar sind. Zu oft scheitern Forschungsvorhaben an langwierigen Vertragsverhandlungen oder der Sorge vor Datenverlusten und einem Reputationsschaden. Die europäischen Datengesetze sind ein wichtiger Anfang auf diesem Weg. Es ist wichtig, deren Umsetzung zu harmonisieren, sodass ein offener und gleichzeitig sicherer systematischer Datenzugang zum Innovationsmotor wird. Eine souveräne Forschungsdateninfrastruktur ist daher ein Erfolgsfaktor für Wissenschaft und Gesellschaft.
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Autor: Prof. Dr. York Sure-Vetter ist Direktor der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Digitale Souveränität entscheidet über Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit im globalen Wettbewerb. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erläutern in diesem Table.Forum, warum und wie strategisch investiert, föderale Strukturen modernisiert und digitale Kompetenzen gestärkt werden müssen – technisch, politisch und gesellschaftlich.
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