von Rebecca Lenhard
Das vergangene Jahrzehnt war ein verlorenes für überfällige Investitionen. Schuld daran war die Lobpreisung der Schwarzen Null und eine vergiftete politische Debatte. Letztere folgte einem immer gleichen Muster: Während wir Grüne mehr Investitionen forderten – und im Übrigen in der Ampel auf Rekordniveau umsetzten, um Infrastruktur und Staat handlungsfähig zu halten – mahnten Union, FDP und allen voran Friedrich Merz Haushaltsdisziplin an. Doch angesichts maroder Brücken, Schulen und Streitkräfte stellte sich die Frage: Wo genau soll noch gespart werden?
Doch direkt nach der Wahl dann der Vollzug der Zeitenwende: Investitionen in unsere Infrastruktur und Stärkung der Sicherheit, whatever it takes. Es wäre nur gut, wenn Herr Merz nicht nur in Schlagzeilen denken würde. Dann wüsste er, dass sich der Sicherheitsbegriff, wie vieles andere auch, seit den 90er Jahren verändert hat. Innere und äußere Sicherheit gehören zusammen, digitale Souveränität ebenso. Es hat uns Grüne gebraucht, um das in den Grundgesetzänderungen zu verankern.
Wes Software ich nutz‘, des Lied ich sing
Es ist wichtig, dass Europa ausreichend Panzer, Drohnen und die entsprechenden Fähigkeiten hat, um sich selbst zu verteidigen. Die bringen uns aber herzlich wenig, wenn Elon Musk das Satellitensystem Starlink abschaltet und die Zielerfassung nicht mehr möglich ist. Oder wenn die öffentliche Verwaltung zusammenzubrechen droht, weil die von Google Cloud und Microsoft Azure gelieferte Cloudinfrastruktur abgestellt wird oder Microsoft keine Sicherheitsupdates für Microsoft 365 mehr ausspielt. Ohne funktionierende Verwaltung kein wehrfähiger Staat.
Auch in der inneren Sicherheit sieht es nicht besser aus: In Bayern läuft die Palantir-Variante VeRA schon im Regelbetrieb - Union und SPD könnten der umstrittenen Software die Tür auf Bundesebene öffnen. Palantir ist nicht nur wegen seines Gründers, Trump-Freund Peter Thiel, politisch hochbrisant, sondern auch wegen massiver verfassungs- und europarechtlicher Risiken. Ihr flächendeckender Einsatz wäre ein Angriff auf Bürgerrechte und Datenschutz – mit unabsehbaren Folgen für unseren Rechtsstaat.
Die digitale Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern ist umfassend und systemrelevant. Ob Betriebssysteme, Cloud-Dienste, KI-Anwendungen oder sicherheitskritische Hardware wie Halbleiter – zentrale technologische Infrastrukturen stammen überwiegend aus den USA oder China. Diese strukturelle Abhängigkeit betrifft nicht nur einzelne Sektoren, sondern die gesamte Gesellschaft: den Staat mit seiner Verwaltung und Sicherheitsarchitektur, die Wirtschaft mit ihrer Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit und alle Bürger:innen in ihrem digitalen Alltag.
Ein Umsteuern ist dringend nötig – nicht nur finanziell, sondern auch strategisch. Jährlich fließen hunderte Millionen Euro für Softwarelizenzen an US-Technologiekonzerne, die zunehmend von politischen Unsicherheiten beeinflusst werden und sich dem Einfluss Donald Trumps unterwerfen, statt sich ihm entgegenzustellen. Stattdessen sollten wir verstärkt auf europäische Alternativen und Open-Source-Lösungen setzen, um langfristige technologische Unabhängigkeit zu sichern. Das wird nicht leicht, doch wir haben bereits Grundlagenarbeit geleistet, etwa mit der Sovereign Tech Agency und dem Zentrum für Digitale Souveränität. Deutschland sollte sich hier federführend engagieren und mit einer staatlichen Förderstrategie den Aufbau unabhängiger Technologien vorantreiben.
Für das notwendige Know-How müssen wir zusätzlich die in der letzten Wahlperiode angeschobenen Investitionen in Bildung verstetigen. Daneben sind wir aber auch auf Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen - jetzt sollten auch gezielt diejenigen aus den USA abgeworben werden, die den autoritären Kurs von Trump und Co. nicht mitgehen möchten oder können.
Digitalisierung faschismussicher machen
Bei der Digitalisierung muss allerdings nicht nur der Gefahr von außen, sondern auch der von innen begegnet werden. Weltweit erleben wir ein Wiedererstarken des Faschismus, der nicht nur in den USA besorgniserregende ideologische und personelle Überschneidungen mit der Tech-Welt genießt. Der Faschismus des 21. Jahrhunderts ist auch digital. Wir müssen unsere digitale Infrastruktur also so aufstellen, dass Risiken möglichst minimiert werden.
Unsere digitale Infrastruktur muss so gestaltet sein, dass sie vor autoritärem Machtmissbrauch geschützt ist. Dezentrale Datenspeicherung und Datenschutz als Grundprinzip sind keine unnötigen bürokratischen Hürden, sondern essenzieller Schutz vor Überwachung und Machtmissbrauch. Datenschutz schützt nicht Daten, sondern konkret Menschenleben. Jegliche Rufe nach „der Datenschutz ist schuld“ sind völlig unangebracht und oft auch nur eine Ausrede für schlechte Digitalpolitik.
Wir haben mit den Grundgesetzänderungen nach der Wahl sichergestellt, dass mehr Geld in eine umfassende Sicherheitspolitik investiert werden kann. Jetzt muss Bundeskanzler Friedrich Merz und die schwarz-rote Koalition beweisen, dass Sicherheit für sie mehr ist als Aufrüstung. Ohne digitale Souveränität bleiben Deutschland und Europa verwundbar – wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und demokratisch. Es ist Zeit zu handeln.
Autorin: Rebecca Lenhard ist Mitglied des Bundestags (B90/Grüne) und Sprecherin für Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
Digitale Souveränität entscheidet über Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit im globalen Wettbewerb. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erläutern in diesem Table.Forum, warum und wie strategisch investiert, föderale Strukturen modernisiert und digitale Kompetenzen gestärkt werden müssen – technisch, politisch und gesellschaftlich.
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