Von Irene Bertschek
Im Jahr 2024 fühlten sich über 80 Prozent der Unternehmen in der deutschen Informationswirtschaft und im Verarbeitenden Gewerbe bei zentralen digitalen Technologien abhängig von nicht-europäischen Anbietern. Wie die entsprechende ZEW-Studie zeigt, galt dies insbesondere in den Bereichen Software und Anwendungen, Hardware und Infrastruktur sowie Sicherheitstechnologien. Als Ursache für bestehende Abhängigkeiten sahen die Unternehmen am häufigsten den Mangel an europäischen Alternativen sowie die technologische Überlegenheit außereuropäischer Anbieter. Dass der Wechsel in der US-Regierung bestehende Abhängigkeiten aus deutscher Sicht weiter verschärfen kann, zeigt eine weitere Umfrage des ZEW. Kurz nach Donald Trumps Wahlsieg im November 2024 rechneten etwa zwei Drittel der Unternehmen mit einer steigenden Marktmacht US-amerikanischer Digital-Unternehmen. Der Handlungsbedarf bei digitaler Souveränität ist also dringender denn je.
Deutschland und Europa ist es in den letzten Jahren nicht gelungen, sich bei digitalen Technologien unabhängiger von außereuropäischen Anbietern zu machen. Dabei handelt es sich um Technologien, die in verschiedenen Branchen eingesetzt werden können und dort Innovationen und Produktivitätsfortschritte ermöglichen – deshalb spricht man hierbei auch von Schlüsseltechnologien. Bei neuen technologischen Entwicklungen, insbesondere der generativen Künstlichen Intelligenz, dominieren allerdings wieder einmal US-amerikanische Technologieunternehmen.
Doch was heißt überhaupt digitale Souveränität? Eine Volkswirtschaft gilt dann als digital souverän, wenn sie zum einen Zugang zu digitalen Technologien hat – indem sie diese entweder selbst herstellt oder von anderen Volkswirtschaften bezieht, ohne sich einseitig abhängig zu machen. Zum anderen sollten das notwendige Wissen und die Kompetenzen vorhanden sein, digitale Technologien anzuwenden und weiterzuentwickeln. Souveränität heißt also nicht Autarkie: Es geht nicht darum alles selbst zu machen, das wäre ineffizient und teuer. Es geht vielmehr darum, einseitige Abhängigkeiten ab- und Kompetenzen auszubauen.
Deutschland und Europa weisen gerade bei digitalen Technologien deutliche Schwächen auf. Bei Hardware und entsprechenden Komponenten wie Mikrochips besteht eine große Abhängigkeit von China – über 40 Prozent solcher importierten Güter stammen mittlerweile von dort. Hinzu kommt die Abhängigkeit vom Angebot digitaler Dienste aus den USA. Vor dem Hintergrund aktueller geopolitischer Entwicklungen gewinnt die digitale Souveränität weiter an Bedeutung.
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen, beispielsweise das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act) oder die Verordnung über Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence Act), um die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Doch Regulierung allein reicht nicht. Mit Initiativen wie dem European Chips Act oder dem High-Performance Computing (EuroHPC) verfolgt die EU das Ziel, Europa im Bereich digitaler Technologien souveräner aufzustellen. Dies sind wichtige Schritte, um bei der dynamischen Entwicklung der KI nicht abgehängt zu werden. Eine hohe Priorität sollte auch die Cybersicherheit erhalten. Zudem gilt es, regulatorische Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Potenziale von Daten für Forschung und Innovation besser genutzt werden können – andere EU-Länder wie Dänemark und Finnland machen es vor. Schließlich sollte Deutschland seine durchaus gute akademische Ausbildung insbesondere im Bereich KI weiter ausbauen und geeignete Rahmenbedingungen schaffen, um Talente zu halten oder (zurück) zu gewinnen. Das Netzwerk europäischer KI-Forschungsstandorte ELLIS ist hier ein vielversprechender Ansatz.
Vor diesem Hintergrund sollte das Digitalministerium der neuen Bundesregierung digitale Souveränität als klares Ziel definieren und die dafür erforderlichen Schritte im Schulterschluss mit europäischen Partnern konkretisieren. Denn digitale Souveränität sollte keine leere Floskel bleiben.
Aber nicht nur die Politik ist gefragt. Auch Unternehmen sollten regelmäßig prüfen, wie sie bestehende Abhängigkeiten abbauen und digital souveräner werden können. Das erreichen sie beispielsweise durch Diversifizierung der Beschaffung von digitalen Gütern. Dass dies nicht zwangsläufig eine zusätzliche Belastung darstellt, sondern im Gegenteil mit einer höheren Performance der Unternehmen einhergehen kann, zeigt eine weitere Studie, die wir im Jahr 2024 veröffentlicht haben. Digitale Souveränität stellt also auch für einzelne Unternehmen Chancen bereit.
Autorin: Prof. Dr. Irene Bertschek ist Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Digitale Ökonomie“, Professorin für „Ökonomie der Digitalisierung“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Stellvertretende Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI).
Digitale Souveränität entscheidet über Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit im globalen Wettbewerb. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erläutern in diesem Table.Forum, warum und wie strategisch investiert, föderale Strukturen modernisiert und digitale Kompetenzen gestärkt werden müssen – technisch, politisch und gesellschaftlich.
Unser Partner: Schwarz Digits ist die IT- und Digitalsparte der Schwarz Gruppe, einer international führenden Handelsgruppe (Lidl, Kaufland). Schwarz Digits bietet digitale Produkte und Services an, die den hohen deutschen Datenschutzstandards entsprechen. Zu den souveränen Kernleistungen von Schwarz Digits gehören Cloud, Cybersicherheit, Künstliche Intelligenz, Kommunikation und Workplace.
Impressum
Table.Forum ist ein Angebot von Table.Briefings
Leitung: Regine Kreitz (v.i.S.v. § 18 Abs. 2 MStV)
Table Media GmbH, Wöhlertstraße 12-13, 10115 Berlin · Deutschland,
Telefon +49 30 30 809 520
Amtsgericht Charlottenburg HRB 212399B, USt.-ID DE815849087
Geschäftsführer Dr. Thomas Feinen, Jochen Beutgen