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Die Geister, die ich rief: Europa, Tech, und das transatlantische Zerwürfnis

Von Wolfgang Ischinger und Paula Köhler

Unregulierte KI stellt ein Risiko dar. Die neue US-Regierung setzt zur Zeit auf Deregulierung und Tech-Nationalismus. Deutschland, Europa und der Rest der Welt sollten dennoch weiterhin nach Konsens für Regelungen rund um neue Technologien suchen. Gäbe es da nur nicht das Problem der Abhängigkeit. Das muss sich ändern.

KI ohne Grenzen

Unregulierte KI bedroht schon jetzt die nationale und weltweite Sicherheit: Ausgefeilte Cyberattacken. KI-generierte Desinformation wie Deepfakes. Unbemannte Drohnen, bei denen eine KI ihre Ziele selbstständig identifiziert und attackiert. Geht man noch einen Schritt weiter, so sorgen sich Wissenschaftler, dass KI-Systeme schon in ein paar Jahren Künstliche Allgemeine Intelligenz erreichen, also wie ein Mensch denken. Das oberste Ziel dieser Maschinen könnte der Selbsterhalt sein, sprich nicht von ihren Machern abgeschaltet zu werden - im Extremfall auch auf Kosten von Menschenleben. Für manche mag das nach zu viel Science-Fiction klingen. Doch es sind reelle Gefahren, die führende KI-Experten nicht ausschließen können.

Alles oder nichts

Bisher versuchten Regierungen diese Gefahren durch Regulierung einzudämmen, indem sie ein Spagat zwischen Innovation und Risikoprävention machten. Dabei weckte vor allem die Blechtley Declaration des ersten AI Safety Summits im November 2023 Hoffnungen. Damals einigten sich 28 Länder, unter anderem die USA und China, sowie die EU darauf, dass KI „menschenzentriert, vertrauenswürdig und verantwortungsvoll“ sein muss.

Nur wenige Monate später dann der Trumpsche Paukenschlag. Besser gesagt, gleich zwei: Zuerst wetterte US-Vizepräsident J.D. Vance in seiner Rede beim Pariser AI Action Summit im Februar 2025 gegen die vermeintliche Überregulierung der KI-Branche und angeblich unfaire EU-Regularien, die amerikanische Firmen zu Zensur nötigten. Einige Tage später attestierte er den europäischen Alliierten bei der Münchner Sicherheitskonferenz ein falsches Demokratieverständnis. Innerhalb einer Woche im Februar durchkreuzte die neue US-Regierung somit jahrelange Bemühungen, internationale Regeln für einen verantwortungsvollen und risikobasierten Umgang mit neuen Technologien aufzustellen.

Die Folgen des neuen US-Kurses

Der aktuelle US-Fokus auf unbegrenzte Deregulierung und Tech-Nationalismus verändert die Tech-Landschaft signifikant. Das führt zu neuen Konstellationen auf dem internationalen Parkett. So unterzeichnete China zusammen mit der EU und anderen Ländern die Abschlusserklärung des KI-Gipfeltreffens in Paris im Februar 2025; die USA und Großbritannien allerdings nicht. Natürlich ist China nicht der Maßstab für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI, auch wenn es sich selbst gerne so darstellt, und eine nicht-bindende Absichtserklärung ist schnell unterschrieben. Signalwirkung hat sie trotzdem.

Viel besorgniserregender ist jedoch, dass Washington und Brüssel im Tech-Bereich gegeneinander statt miteinander arbeiten. Zwar gab es auch in der Vergangenheit unterschiedliche Ansätze. Doch zunehmend klaffen die transatlantischen Vorstellungen, wie mit neuen Technologien umgegangen werden soll, auseinander. Wo die EU Datenschutz und Wahrung von Privatsphäre, soziale Verantwortung, Risikoeindämmung und sinnvolle Standards sieht, wittert Washington Online-Zensur und Benachteiligung von US-Tech-Konzernen. US-Vizepräsident J.D. Vance bot den Europäern zwar an, auch in Zukunft zusammenzuarbeiten, jedoch müsse man sich dafür von übervorsichtigen Regularien lösen und unter Federführung der USA in die Zukunft gehen.

Teilweise wirkt der US-Druck gegen Regulierung schon jetzt. Selbst in Bereichen, in denen die EU Vorreiter war, rudert sie zurück. Zum Beispiel kündigte die EU an, bei DSGVO-Vorgaben oder KI-Regulierung zu prüfen, ob lockernde Anpassungen möglich seien. Doch nimmt man nicht hohe Risiken in Kauf, wenn Regeln für neue Technologien eher nachrangig behandelt oder zurückgedreht werden? Kann Europa hier nicht stärker seinen eigenen Kurs fahren?

Bittsteller statt Tonangeber

Europa ist im Tech-Bereich so stark von den USA und China abhängig, dass Brüssel eher Bittsteller als Tonangeber ist. Stand Januar 2025: 80% der europäischen digitalen Infrastruktur ist abhängig von ausländischen Firmen. AWS, Microsoft und Google stellen zusammen 72% des europäischen Marktes für Cloud-Services, wohingegen der Marktanteil von europäischen Anbietern im Zeitraum von 2017 bis 2022 von circa 27% auf 13% zurückgegangen ist. 70% der KI-Modelle kommen aus den USA. Im Bereich Lieferketten und Hardwarekomponenten sieht es nicht besser aus: China war auch 2024 noch für mehr als zwei Drittel der weltweiten Produktion von seltenen Erden verantwortlich. Und spätestens seit der Corona-Pandemie wissen auch hierzulande alle, wie wichtig Halbleiter sind und wie wenige davon in Europa produziert werden.

Aufgrund der großen Abhängigkeiten von Großmächten, die sich gerade noch dazu gegenseitig mit Zöllen und Exportkontrollen überziehen, ist Europa nicht wirklich in einer starken Ausgangslage, um Regulierung von neuen Technologien als Standard weltweit durchzusetzen.

Was muss nun getan werden?

Europa muss langfristig unabhängiger werden in neuen Technologien. Das erfordert grundlegendes Umdenken. Wir brauchen dann eben nicht nur Regulierung, sondern Investitionen in alle Formen digitaler Technologien, einschließlich KI. Es wäre schön, wenn Europa auch künftig den Goldstandard der Tech-Regulierung setzen könnte. Dazu muss es aber auch ein ernstzunehmender Tech-Anbieter werden. Der neu erschienene Report zum „EuroStack“ stellt eine wertvolle Anleitung zu mehr europäischem Handelsspielraum im Digitalbereich dar. Darüber hinaus braucht es vor allem die nötigen finanziellen Mittel und den politischen Willen, um digitale Souveränität voranzutreiben.

Auch wenn Europa kurzfristig von den Stimmungsschwankungen der Großmächte abhängig bleibt, so sollte es sich auch weiterhin für Regeln im Tech-Bereich einsetzen. Ansonsten riskieren Demokratien, dass nicht die neuen Technologien, sondern deren sinnvolle Regulierung immer mehr nach Science-Fiction klingt. Und dabei weiß man doch, was mit den Geistern, die man rief, passieren könnte.

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Autor: Prof. Dr. h.c. Wolfgang Ischinger ist Präsident des Stiftungsrates der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz. Paula Köhler ist Policy Advisor bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

Digitale Souveränität entscheidet über Deutschlands und Europas Handlungsfähigkeit im globalen Wettbewerb. Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erläutern in diesem Table.Forum, warum und wie strategisch investiert, föderale Strukturen modernisiert und digitale Kompetenzen gestärkt werden müssen – technisch, politisch und gesellschaftlich.

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