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Strahlenschutz braucht ressortübergreifende Arbeit und Kulturwandel

von Inge Paulini

Wer die heftige Kritik an Verwaltungen und die lauten Forderungen nach Staatsreform und Bürokratieabbau hört, denkt schnell, sie kämen alle „von außen“. Aber dem ist nicht so. Der Wunsch nach einem grundlegenden Kulturwandel – Modernisierung, mehr Kooperation, Überwindung des Silo-Denkens und Bereitschaft zu mehr Verantwortung – kommt in großem Umfang auch „von innen“. Viele in der Verwaltung wollen schneller, flexibler und ergebnisorientierter agieren. So erlebe ich es im Austausch mit Leitungen von Bundesoberbehörden ebenso wie im Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).

Wir im Strahlenschutz haben das Ziel, die Gesundheit der Menschen vor Strahlungsrisiken zu schützen, etwa beim Röntgen oder in der Nuklearmedizin, dem UV-Schutz oder der Höhenstrahlung beim Fliegen. Das BfS ist auch eine Sicherheitsbehörde und liefert in Zeiten global wachsender Unsicherheit und hybrider Bedrohungen mit dem deutschlandweiten Messnetz für Umweltradioaktivität und dem Radiologischen Lagebild einen wesentlichen Beitrag zum Zivilschutz. Dafür engagieren wir uns für Effizienzsteigerung durch Digitalisierung und KI sowie für Zusammenarbeit über Ressortgrenzen hinweg.

Uns im BfS inspiriert und stärkt die Mission, für Bürgerinnen und Bürger zügig und transparent Dienstleistungen zu erbringen – auch im radiologischen Notfall, bei dem wir die Bevölkerung mittels Datenanalyse und Maßnahmenempfehlungen schützen. Das können wir nicht alleine. Wenn es etwa zu einem Unfall in einem europäischen Kernkraftwerk mit Auswirkungen auf Deutschland kommen sollte, liefern wir Informationen an die Zuständigen in Bund und Ländern. Die Katastrophenschutzbehörden der Länder und Kommunen agieren dann u.a. auf dieser Grundlage. Das BfS ist im Umweltressort angesiedelt, der Katastrophenschutz im Innenressort, es kann um zeitkritischen Austausch gehen – das zeigt, wie sehr es im Strahlenschutz siloübergreifender Zusammenarbeit und vernetzten Denkens bedarf.

Für eine stärker missionsorientierte Herangehensweise bietet sich zum Beispiel auch der Zivilschutz bzw. die Zivile Verteidigung an. Hier sind Bund, Länder und Kommunen gefordert. Der Bereich tangiert zahlreiche Ministerien samt nachgeordneten Bereichen, etwa Verteidigung (mit Bundeswehr), Innen (mit Polizei, Katastrophenschutz, u.a. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe/BBK und Technischem Hilfswerk/THW), Gesundheit und Umwelt. Hier hat sich seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Kooperation deutlich vertieft. Beispielsweise wurde der radiologische Notfallschutz ins mobile Warnsystem des BBK integriert – vielen über die Warn-App Nina bekannt. Für die Bürgerkommunikation im Notfall wurden vorsorglich entwickelte Textvorlagen geteilt, um Doppelarbeit bei der Behördenkommunikation zu vermeiden. Messdaten unterschiedlicher Quellen von Bund und Ländern fließen schon lange digital im Integrierten Mess- und Informationssystem IMIS des BfS zusammen.

Wichtige erste Schritte, den nuklearen Notfallschutz verstärkt mit dem Zivilschutz zusammen zu denken, sind unternommen – befördert durch den Umbruch der Weltpolitik, die neuen Bedrohungen in Europa durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die gemeinsame Zielorientierung. Eine Vertiefung und Verstetigung dieser Entwicklung wäre aus Sicht des BfS ein Reformtreiber auch für andere Bereiche. 

Ein positives Beispiel aus dem Bereich des BMUV betrifft die gegenseitige Unterstützung beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz. So verfügt das Umweltbundesamt (UBA) über ein Anwendungslabor für Künstliche Intelligenz und Big Data (KI-Lab), das für auch für andere Ämter im Geschäftsbereich arbeitet und bei der Entwicklung von KI-basierten Anwendungen berät. Es ist ein Innovationsraum, der interdisziplinäre Expertise bündelt. Ein BfS-Team hat mit Unterstützung der dort versammelten Fachleute unter anderem einen Chatbot für den Notfallschutz entwickelt, der bald starten soll.

Solche Modelle sollten auch ressortübergreifend operieren, denn es sollten prinzipiell zentrale Lösungen zur Anwendung durch alle geschaffen werden. Nicht jede Stelle darf jedes Problem selbst lösen (müssen). Viele Bundesbehörden kämpfen vor allem im Querschnitt mit vergleichbaren Problemen – siehe etwa Beschaffung, Barrierefreiheit, Software für Antragsverfahren, Raumbuchungssysteme.

BfS-Mitarbeitende erarbeiten in vielen dieser Felder bereits innovative Lösungen. Doch Insellösungen bei uns und andernorts kosten zu viel Zeit und Kraft. Der Austausch von Wissen, Ideen und Konzepten, evtl. auch die Wahrnehmung ähnlicher Aufgaben an zentralen Stellen, könnte enorme Potenziale freisetzen. Die Idee von Service-Centern, die bestimmte Aufgaben für mehrere Institutionen übernehmen, geht bereits in diese Richtung. Des Weiteren sollten Eigenentwicklungen, zum Beispiel im Bereich Software, nur an einer Stelle erfolgen und dann von allen genutzt werden (können). Statt mehr Steuerung von oben sollte eine solche Entwicklung mehr Eigenverantwortlichkeit und Kooperation auf Arbeitsebene nutzen – gerade auch im Hinblick auf die erhöhte Motivation der Beschäftigten. 

Denn Letzteres ist auch eng mit der Attraktivität des Staates als Arbeitgeber verknüpft. Wie andere Behörden und die Wirtschaft ist das BfS angewiesen auf hochqualifizierte Fachkräfte; diese werden in vielen Bereichen auch mittelfristig fehlen. Daher brauchen wir mehr Flexibilität. Die derzeitigen Einstellungs- und Beförderungsverfahren setzen in erster Linie auf Formalqualifikationen, wie auch die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ im Zwischenbericht zu Recht moniert. Der Vorschlag, die Systeme für Seiteneinsteiger zu öffnen, ist aus Sicht des BfS sehr zu begrüßen. So finden wir nicht nur die Menschen und die Expertise, die wir brauchen, sondern forcieren auch den Kulturwandel in der Verwaltung. Einen Wandel, an dem viele in den Ämtern schon heute aktiv und engagiert mitwirken - der aber zügig und stark beschleunigt werden muss.

Autor: Dr. Inge Paulini ist Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS).

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