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Staatsmodernisierung – längst kein Feinschmecker-Thema mehr

von Nathanael Liminski

Die Grundsatzfrage ist: Warum Staatsmodernisierung – und warum jetzt? Die Antwort ist einfach. Das Zeitfenster, in dem Veränderung möglich und notwendig ist, ist da. Lange war Staatsmodernisierung ein wahlweise theoretisches oder weiches Thema, nice to have. Das hat sich verändert. Die Menschen spüren mehr noch als sonst: In diesen unsicheren Zeiten brauchen wir einen handlungsfähigen Staat. Das ist entscheidend für das Vertrauen in Demokratie – und für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in einer neuen geopolitischen Ordnung. So gesehen ist Staatsmodernisierung Kerngeschäft und Führungsaufgabe.

 

Wir müssen handeln. Das Bewusstsein dafür wächst. Die vergangenen Jahre waren geprägt von externen Schocks: die Flüchtlingskrise, die Corona-Pandemie, Russlands Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine und die Energiekrise. Sie verdichten sich zu einer kollektiven Erinnerung und Erfahrung der Überforderung. Und sie treffen auf ein internes Momentum: Die Ergebnisse der Bundestagswahl zeigen eine anhaltende gesellschaftliche Polarisierung – und wie ernst die Lage ist. Der demokratische Staat muss wieder beweisen, dass er funktioniert. Das ist auch eine Chance.

 

So erleben wir eine neue Bereitschaft, nicht nur Symptome zu bekämpfen, sondern Strukturen zu verändern – in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Staatsmodernisierung ist längst kein Feinschmecker-Thema mehr. Sie ist am langen Ende eine Überlebensfrage in einem harten Systemwettbewerb, der im grellen Scheinwerferlicht der Medien – ob Sender oder Plattformen – ausgetragen wird. Die liberale Demokratie steht vor dem Lackmustest.

 

Deshalb braucht es jetzt eine nationale Kraftanstrengung. Die neue Bundesregierung kann dafür einen Impuls setzen, aber der Prozess muss von Anfang an eine verfassungsändernde Mehrheit im Bundestag und eine stabile Mehrheit im Bundesrat mitdenken. Also braucht es nach allen Impulsen der jüngsten Zeit am Ende eine Kommission ähnlich der Kohlekommission zur Legitimation, Implementierung und Operationalisierung aller Ideen.

 

Klar ist: Wer auf Reformen nur aus Berlin wartet, wartet lange. Staatsmodernisierung ist eine föderale Gemeinschaftsaufgabe aller staatlichen Ebenen. Und sie beginnt dort, wo Staat konkret erlebt wird – in Ländern und Kommunen. Sie sind die eigentlichen Treiber der Staatsmodernisierung, schlicht weil sie einen Großteil des Staatswesens ausmachen. Ein Beispiel: Über 80 Prozent der öffentlichen Bediensteten arbeiten nicht beim Bund oder den Sozialversicherungen, sondern bei den Ländern und Kommunen.

 

Schon bei der Art und Weise, wie das geplante Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden eingesetzt wird, wird sich zeigen, was die immer zahlreicher und lauter werdenden Bekenntnisse zur Staatsmodernisierung wert sind. Daran, ob wir in der Lage sind, frischen Wein auch in neue Gefäße zu füllen, also das viele Geld innovativ und im Sinne einer echten Transformation einzusetzen. Alles andere wäre tragisch, denn es werden jetzt viele Milliarden ins demokratische Schaufenster gestellt – auf einer Straße mit immer weniger interessiertem Publikumsverkehr. Wir müssen als Staat und Verwaltung beweisen, dass wir dieses Geld effizient und effektiv einsetzen. Sonst zeigen die zusätzlichen Möglichkeiten wie unter dem Brennglas die Missstände. Wir brauchen Mut zu neuem Denken. Ein gutes Beispiel kann das Konjunkturpaket I und II aus den Jahren 2008 und 2009 sein: klare Ziele, einfache Mittelvergabe, schnelle Wirkung.

 

Wir können und sollten uns auf vier Prinzipien verständigen.

·       Erstens: Klare Regeln bei der Mittelverteilung, aber Flexibilität in der Umsetzung.

·       Das bedeutet zweitens: Pauschalen für Kommunen, um Verfahren zu vereinfachen und Eigenverantwortung zu stärken.

·       Drittens sollten wir Investitionsreife vor Planungsfiktion stellen – also mit Projekten starten, die bereits fertig in der Schublade liegen.

·       Und viertens für eine enge Abstimmung aller staatlichen Ebenen auf Augenhöhe sorgen, etwa über die Ministerpräsidentenkonferenz.

 

Die Kraft muss ins Gelingen gesteckt werden, nicht in die Schuldzuschreibung. Staatsmodernisierung heißt aber auch: über den Föderalismus neu nachdenken. Alle Ebenen müssen sich selbst fragen, was sie beitragen können. Wenn es um Föderalismus geht, kommt häufig die Forderung auf, dass es keinen Flickenteppich geben darf, sondern bundeseinheitliche Mindeststandards braucht. Das Ziel ist richtig. Aber ich warne als Landesminister mit früheren beruflichen Stationen auf Bundesebene davor, allzu schnell und pauschal der Zentralisierung das Wort zu reden. Einheitlichkeit erreichen wir schneller, effektiver und besser über mehr Gemeinsamkeit als über Zentralisierung. Der Bundesrat kann dabei eine neue Rolle spielen – als Selbstverwaltungsorgan der Länder, der mit Mehrheit in ausgewählten Bereichen gemeinsame Standards setzt. Der Bundesrat vereint zwei Stärken: Expertise über die Ausschüsse und deren Besetzung mit Fachministern und politische Legitimation über das Plenum, in dem Koalitionen abstimmen. Auf diesem Wege könnte man etwa bei Schulabschlüssen zu gemeinsamen Lösungen kommen.

 

Wenn wir vom Staat der Zukunft sprechen, dürfen wir nicht nur auf Gesetze schauen. Auch untergesetzliche Normen prägen den Alltag. Man kann viel im Bereich der Verordnungen und Erlasse verändern, um effektiver und effizienter zu werden. Wir machen das gerade in Nordrhein-Westfalen im Bereich der Förderprogramme haben und nach einer gründlichen Bestsandausname die über 1.000 Landesfördermaßnahmen auf 700 reduziert. Weniger Programme, klarere Ziele, einfachere Verfahren.

 

All diese Fragen kann man aber nicht nur von oben nach unten „top down“ lösen. Deshalb haben wir begonnen, zahlreiche Praktikergespräche mit Dezernenten und Kommunalpolitikern zu führen, immer mit der Frage: Welche Standards hindern Euch am Handeln? So haben wir allein in den letzten Monaten 140 konkrete Maßnahmen identifiziert und in die jeweiligen Ressorts eingespeist.  

 

Staatsmodernisierung ist kein technokratisches Projekt. Es ist eine Frage der politischen Führung, der vertrauensvollen Zusammenarbeit und des respektvollen Umgangs mit denjenigen, die Staat täglich umsetzen – und erleben. In der Bereitschaft zur Selbstkritik und der Ambition für Verbesserung kommt auch eine Haltung zum Ausdruck: Der Staat ist für die Menschen da und nicht umgekehrt.

 

Wir brauchen einen Kulturwandel, der Vertrauen vor Kontrolle, Wirkung vor Regelungswut und Verantwortung vor Zuständigkeitsritualen stellt. Wenn uns das gelingt, dann ist Staatsmodernisierung nicht nur ein Instrument – sondern kann auch Ausdruck sein der vielerorts und parteiübergreifend herbeigesehnten politischen Erneuerung.

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Autor: Nathanael Liminski (CDU, 39) ist seit 2022 Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und seit 2017 Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf.

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