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Der Staat als Innovationstreiber

von Armand Zorn

Institutionen determinieren den Erfolg von Staaten und ihren Wirtschaften – dies ist spätestens seit dem Buch Why Nations Fail von Daron Acemoglu und James Robinson weitgehend anerkannt. Prägend für die Qualität der Institutionen ist das Selbstverständnis, welches ihnen zugrunde liegt. Diese institutionellen Selbstverständnisse sind historisch gewachsen, über lange Zeiträume beständig und entwickeln dadurch eine gewisse autogene Normativität. Sie deswegen als eine unpolitische – der Politik vorgelagerte - Gegebenheit abzutun, wäre aber falsch. Ähnlich wie bei Unternehmenskulturen ist es durchaus möglich, mit bewusstem und beständigem Einsatz das Selbstverständnis eines Staates zu wandeln.

Einen solchen Wandel hat Deutschland heute nötig. Das Selbstverständnis Deutschlands ist – in meiner Wahrnehmung – stark von der Ordnungsfunktion des Staates geprägt. Gut regiert sind wir, wenn alle Prozesse fein säuberlich ablaufen, wenn Strukturen eisern bestehen und risikoarm gehandelt wird. In der jetzigen geopolitischen Phase wird uns dies nicht weiterbringen.

Der deutsche Staat muss Treiber von Innovation werden – dazu muss er sich als Treiber von Innovation verstehen. Das bedeutet, dass die Verwaltung selbst wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung voranbringt – zum Wohle der Menschen. Es wäre eine andere Vorstellung von Verwaltung, ein anderes Verständnis von Staat, eine Demokratie für das 21. Jahrhundert.

Warum ist Innovation gerade eine staatliche Aufgabe – ist dies nicht Primat der Privatwirtschaft? Nein. Ein Staat, der Innovationsförderung als Teil seiner Verantwortung begreift, schafft es, Projekte zu fördern, die oftmals vom Privatsektor nicht realisiert werden würden. Er schafft weiterhin in den Bereichen, in welchen er eine monopolistische Stellung innehat, echte Mehrwerte und verbessert ganz konkret Leben. Und außerdem ist in der jetzigen Zeit jede verfügbare Kraft gefragt, um Innovationen zu treiben. Innovation ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, welche Wirtschaft und Politik gemeinsam verfolgen muss.

Der deutsche Staat hat drei starke Hebel, über welche er seine neue Rolle als Innovationstreiber wahrnehmen und ausfüllen kann. Das ist erstens der Hebel der Investitionen. Neben den breit besprochenen Investitionen in Infrastruktur und Rüstung, welche durch das Sondervermögen und der partiellen Reform der Schuldenbremse bereits angegangen werden, ist ein Deutschlandfonds dafür die richtige strukturelle Lösung. Ich freue mich sehr, dass es dieser in den Koalitionsvertrag geschafft hat.

Der Bund wird 10 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, die dann mit Privatkapital gehebelt werden und somit eine größere Wirkung erzielen. Zwar sind 10 Milliarden deutlich zu wenig – eine Größenordnung von 50 Milliarden wäre der Aufgabe angemessen – aber der Grundstein ist damit gelegt. Wichtig ist dabei die unabhängige Governance. Der Gesetzgeber definiert bestimmte Kriterien, etwa Deep Tech, Nachhaltigkeit, oder soziale Standards, nach denen investiert werden soll. Aber die Umsetzung würde eine eigens gegründete Gesellschaft vornehmen.

Diese Entkoppelung von politischem Kalkül und weitreichender Politik ist wichtig: Es geht hier um langfristige Investitionen, die über Wahlzyklen hinausreichen. Während der Staat bislang vor allem in Unternehmen in Schieflage investierte, wird der Deutschlandfond Rendite abwerfen – und ermöglicht so staatliche Wohlfahrtsziele mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu verbinden.

Der zweite Hebel des Staates ist die Beschaffung. Der Staat hat gewaltige Marktmacht als Käufer von Produkten und Dienstleistungen – im Jahr 2023 lag das Auftragsvolumen bei über 120 Milliarden Euro. Wir müssen uns unserer Rolle als steuernde Instanz und damit Innovationstreiber bewusster werden – über das Tariftreuegesetz hinaus. Durch unser Vergabewesen können wir politische Ziele wie etwa Resilienz, europäische Souveränität, die Förderung von interoperablen Open-Source-Lösungen und Innovativität gezielt fördern.

Dazu müssen wir bei Ausschreibungen neben dem „klassischen“ Kriterium der Wirtschaftlichkeit auch größeren Wert auf strategisches Alignment legen und Zuschläge an diejenigen Anbieter geben, die uns unmittelbar sowie strategisch nutzen. Weiterhin sollten wir die Strenge mancher Kriterien hinterfragen. Wenn etwa Eignungsprüfungen eine Umsatz- oder Mitarbeiterschwelle vorschreiben, welche von Beginn an Start-Ups vom Verfahren ausschließen, hemmt dies Innovation. Vergabestellen brauchen den Mut und die politische Deckung, die Klaviatur des heutigen Vergaberechts vollumfänglich zu bespielen. Ohne eine echte Fehlerkultur in der öffentlichen Verwaltung wird dies nicht gelingen.

Der dritte Hebel zur Förderung von Innovation ist die Entwicklungsförderung. Zu oft wird deutsche Spitzenforschung nicht in der Wirtschaft verwertet – oder lediglich bei amerikanischen Firmen. Zu oft werden einfache und vermeintlich kostengünstige Lösungen eingekauft, ohne zu beachten, dass die Mehrwerte bei der Schaffung eines Software-Ökosystems höhere Entwicklungskosten leicht ausgleichen können. Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung des Digitalen Euros.

Manche hinterfragen, ob die aufwändige Entwicklung wirklich nötig ist - schließlich gibt es mit MasterCard und Visa bereits heute privatwirtschaftliche Möglichkeiten, in Echtzeit Geld zu überweisen. Wenn der Staat aber ein neues Zahlungsökosystem erschafft, statt sich an bestehenden Lösungen anzukoppeln, können viele neue Geschäftsmodelle etwa bei Wallets, Smart Contracts oder Mikrozahlungen entstehen – und alle Beteiligten sparen sich Geld, etwa bei Zahlungsgebühren.

Der Staat kann weiterhin durch geschickt gewählte Eigenentwicklungen Normen setzen, welche Spillover-Effekte auf den Markt haben – etwa, indem Datenschutzstandards festgeschrieben und von allen neuen Ökosystemteilnehmern übernommen werden. Keineswegs plädiere ich dafür, dass der Staat künftig alle Systeme allein entwickelt – aber eine strategisch geschickte Auswahl ist unerlässlich.  Das bereits vorhandene Vergabeinstrument der Innovationspartnerschaft ermöglicht das gezielte Fördern von genuin neuen Lösungen – wird aber derzeit fast nie verwendet. Das muss sich ändern.

Mit diesen drei Hebeln kann der Staat, um Archimedes abzuwandeln, die Welt trotz limitierter Mittel mit einer Hand bewegen. Doch dazu müssen wir die Hebel auch benutzen wollen. Entscheidend ist unser staatliches Selbstverständnis und damit das Mindset der Exekutive. Wir müssen uns als Ermöglicher verstehen – als Instanz, die beschleunigt statt zu bremsen, die katalysiert statt zu kritisieren, die innoviert statt zu inhibieren. Risikobereitschaft in der Verwaltung muss belohnt werden – Innovation ohne die Möglichkeit zu scheitern kann es nicht geben.

Ein Vorbild kann uns dabei die Monetary Authority in Singapur sein, welche bei der Kryptowährungsregulierung in enger Zusammenarbeit mit dem ansässigen Finanzsektor eine praktikable und robuste Lösung entwickelt hat, ohne sich den Privatinteressen unlauter anzubiedern. Wenn die grundsätzliche Reaktion des Staates auf innovative Initiativen ein „Ja, und…“ statt von „Ja, aber…“ wird, ist Deutschland für die Zukunft wieder gut aufgestellt.

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Autor: Armand Zorn ist Mitglied des Bundestags (SPD).

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